Warum ich gegen Ursula von der Leyen gestimmt habe

Das Europäische Parlament hat heute Ursula von der Leyen als designierte Kommissionspräsidentin bestätigt. Damit ist ziemlich sicher, dass sie für die nächsten fünf Jahre die Europäische Kommission leiten wird. Sie muss sich mit dem gesamten Kollegium aller Kommissarinnen und Kommissare noch einer finalen Wahl stellen. Ich gratuliere Frau von der Leyen herzlich und wünsche ihr viel Erfolg!

(c) European Union - European Parliament 2018

Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben uns von Anfang an für das SpitzenkandidatInnen-System ausgesprochen. Wie in jeder parlamentarischen Demokratie muss in der EU das Prinzip gelten, dass sich KandidatInnen für ein Regierungsamt mit einem Programm zur Wahl stellen und nicht nur bei den Parlamentariern, sondern bei den Bürgerinnen und Bürgern Europas um Vertrauen und Zustimmung werben.

Meine Stimme hat Frau von der Leyen einerseits nicht bekommen, weil sie keine Spitzenkandidatin war. Andererseits konnte ich sie aber auch aus inhaltlichen Gründen nicht wählen. Ihr vorgeschlagenes Arbeitsprogramm liest sich wie ein Katalog, der aus den Wahlprogrammen der verschiedenen Fraktionen zusammengestellt wurde. Die Staats- und Regierungschefs haben sie vorgeschlagen, ohne ihr Programm zu kennen. Es ist unwahrscheinlich, dass sie die vielen Wahlversprechen von Frau von der Leyen an die verschiedenen Gruppen einlösen wollen. Das halte ich für höchst problematisch.

Sie hat kein schlüssiges Konzept für europäische Mindestlöhne vorgelegt, keinen Vorstoß für eine europaweite CO2-Abgabe gewagt, sie beschränkt die wichtigen Fragen der Cyber-Sicherheit auf Unternehmen und ist bei der Verfolgung von Rechtsstaatsverstößen zu zurückhaltend. All das halte ich für nicht ausreichend.

Eine ganz knappe Mehrheit im Europäischen Parlament hat in diese Versprechen mehr Vertrauen als ich gehabt, und sie heute gewählt. Diese Entscheidung respektiere ich. Wichtig ist jetzt, dass wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten genau darauf achten, dass Frau von der Leyen ihre Versprechen einhält. Das bedeutet auch, dass wir als Parlament dem Rat gegenüber standhaft bleiben müssen.

Dass die Mehrheit für Frau von der Leyen so knapp ausgefallen ist – sie hat mit 383 Stimmen nur 9 Stimmen mehr als 50% der Stimmen bekommen – bedeutet vor allem aber, dass hastig zusammengeschriebene Arbeitsprogramme nicht ausreichen, um verlässliche Mehrheiten hinter sich zu bringen. Deswegen ist es umso wichtiger, dass wir verhindern, dass sich diese Situation nach der nächsten Europawahl wiederholt. Die Institutionen müssen sich auf ein verbindliches SpitzenkandidatInnen-System einigen, das nicht mehr so leicht ausgesetzt werden kann. Dazu gehören für mich auch transnationale Wahllisten zur Europawahl. Nur so stärken wir das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der europäischen Institutionen.

Aus Deutschland kamen in den Tagen vor der Abstimmung immer lautere Stimmen, die SPD handle aus Trotz gegen deutsche Interessen, weil sie eine deutsche Kommissionspräsidentin verhindern will. Dieser Diskurs ist mir zu stumpf. Als Europaabgeordneter geht es mir nicht darum, nationale Interessen durchzudrücken, sondern eine europäische Vision Wirklichkeit werden zu lassen. Ich will, dass die selbstverständlichen Prinzipien der parlamentarischen Demokratie auch in der EU gelten. Die hohe EU-weite Wahlbeteiligung hat gezeigt, dass die Europäerinnen und Europäer hohe Erwartungen an die europäische Demokratie haben.

Ich werde in den nächsten fünf Jahren eine laute Stimme für ein soziales, digitales und solidarisches Europa sein und dafür kämpfen, dass die Wählerinnen und Wähler gehört werden – egal, wer Kommissionspräsidentin ist.