In einem intensiven parlamentarischen Anhörungs-Verfahren, über das ich euch ja immer auf dem Laufenden gehalten haben, haben wir in den letzten Monaten die vorgeschlagenen Kommissar*innen auf ihre fachliche und persönliche Eignung hin befragt und auch drei Kandidat*innen als nicht geeignet abgelehnt.
Bei den Nachnominierungen konnten zwei Kandidaten mich ebenfalls nicht vollständig überzeugen: Zum einen Thierry Breton (Frankreich), er ist zuständig für Digitalisierung und war bis zu seiner Nominierung CEO eines großen IT-Unternehmens mit dem Namen Atos. Sein Wechsel – ohne Wartezeit – von der Seite des Regulierten in die Rolle des Regulierers für diesen Bereich ist wegen der möglichen Interessenskonflikte problematisch, wenngleich der Rechtsausschuss keine Probleme gesehen hat und er auch von den Fachausschüssen mit großer Mehrheit unterstützt wurde. In seiner Anhörung habe ich ihm noch das Versprechen abgerungen, sich nicht alleine mit Verterter*innen seines alten Arbeitgebers zutreffen.
Zum anderen sehe ich bei Oliver Várhelyi (Ungarn) Probleme. Er hat in der neuen Kommission die Aufgabe, zu überwachen, ob EU-Beitrittskandidaten rechtsstaatliche Grundsätze einhalten. Vor dem Hintergrund des laufenden Rechtsstaatlichkeits-Verfahrens gegen Ungarn, das die Unabhängigkeit der Gerichte und die Freiheit der Presse beschneidet, ist das zynisch. Unklar ist auch noch immer, sogar nach den Anhörungen, was der von Ursula von der Leyen angekündigte „neue Pakt für Migration“ genau sein soll. Der Ressortname von Varhelyi wurde zwar von „Protecting the European Way of Life“ in „Promoting the European Way of Life“ umbenannt, doch für mich klingt das noch immer zu sehr nach Abschottungspolitik. Zudem weiß ich schlicht nicht, was der European Way of Life sein soll.
Es gibt aber auch gute inhaltliche Gründe, die Kommission nicht abzulehnen.
Da ist zum einen das Versprechen die EU bis 2050 treibhausgas-neutral zu machen. Dabei wird für dieses Schlüssel-Ressort mit Frans Timmermans ein Sozialdemokrat zuständig sein. Er wird den European Green Deal verantworten, die europäische Antwort auf den Klimawandel.
Zudem wird mit Nicolas Schmit, ebenfalls ein Sozialdemokrat und bis heute noch Kollege im Europäischen Parlament, das erste Mal ein Kommissar explizit für soziale Rechte zuständig sein. Hier sehe ich richtig viel Potential, die sozial-ökologische Wende voranzutreiben.
Die Kommission am Ende dieses langen demokratischen Prozesses, bei dem letztendlich eine Mehrheit der Abgeordneten keine Einwände mehr gegen einzelne Kandidierende hatte, abzulehnen, hätte bedeutet, Anti-Europäer*innen zu stärken, die die EU aus Prinzip scheitern sehen wollen.
Und diese Wahrnehmung wurde heute, während der Aussprache zur Kommission, bei mir noch einmal bestärkt! Die Redebeiträge der rechten Fraktionen, waren so von EU-Abscheu geprägt, dass ich mich im Plenarsaal entscheiden habe, eine klare Entscheidung zu treffen und mit ja zu stimmen und mich nicht zu enthalten.
Ich habe mir die Frage gestellt, ist es besser diese Kommission zu haben oder keine Kommission zu haben? Angesichts der wahnsinnig großen Aufgaben, war die Antwort für mich klar!
Denn was wäre bei einem Nein vom Parlament passiert? Ursula von der Leyen, die Konsens-Kandidatin des Rates, wäre weiterhin dafür zuständig gewesen, ein Kommissionskollegium zusammenzustellen. Denn anders als beim Einzelvotum über sie vor einigen Wochen, wäre sie weiter zuständig gewesen. Und auch die einzelnen Kommissar*innen wurden auch – jeweils einzeln – durch die Ausschüsse des Parlaments bestätigt. Auch diese Mehrheiten im Parlament hätten sich ja nicht einfach verändert. Daher glaube ich nicht, dass sich in einer dritten Verlängerungsrunde Etwas geändert hätte.
So komisch es auch klingt, mit meinem „Ja“ glaube ich, dass ich die Kommission in die Lage versetzt habe, selbstbewusster gegenüber dem Rat aufzutreten, weil sie nicht mehr nur vom Rat abhängig ist, sondern auch von uns getragen wird.
Und eins darf nicht vergessen werden. Jetzt geht die Arbeit ja erst richtig los.
Vor allem aber kann die Kommission nicht alleine entscheiden, sondern macht Vorschläge, die wir dann im Parlament ändern und vor allem verbessern können. Und genau das werden wir tun.